Höbbaddie© neu gedacht. Wirklich? Wozu?

Die „Aussteigerin“ Natalie Grams macht zurzeit Furore: Nach Jahren als Homöopathin hat sie ihre Höbbaddie©-Praxis aufgegeben und ein Buch darüber geschrieben („Homöopathie neu gedacht“). Die Skeptiker-Szene jubelt. Zwei Fragen: Wozu muss man Homöopathie neu denken (Betonung auf neu)? Und hat irgend jemand das letzte Kapitel gelesen, in dem sie versucht, der Schwurbelmedizin eine Daseinsberechtigung hinzubiegen?

Frau Dr. med. Grams erzählt in Buch, Blog und Interviews, wie und warum sie ihre homöopathische Praxis geschlossen hat. Ihr Buch erntet haufenweise Zuspruch aus der skeptischen Szene. Gut so! Die Autorin beschreibt recht unspektakulär viele Aspekte der Homöopathie und deckt Ungereimtheiten auf, erklärt die Widersprüche zur evidenzbasierten Wissenschaft und geht auch der Frage nach, weshalb sich Patienten dennoch den Schwurbelkügelchen hingeben. Ganz wunderbar finde ich übrigens die vielen Originalauszüge aus dem Organon, die man mehr als einmal als wirres Gebrabbel auch unkommentiert stehen lassen könnte.

Ganz und gar nicht wunderbar ist das letzte Kapitel, „Was bleibt übrig von der Homöopathie im 21. Jahrhundert?“. Nix, könnte die einfache Antwort derer sein, die sich eingehend mit den Wasserverdünnern beschäftigt haben. Buch fertig.

Frau Grams hingegen meint, Zitat:

„Im Unterschied zu unserer modernen wissenschaftlichen Medizin möchte die Homöopathie in ihrem Konzept den Patienten als Menschen abbilden, anstatt sich vorwiegend einem Symptom zuzuwenden.“

oder

„Das ganzheitliche Herangehen unterscheidet die Homöopathie von der wissenschaftlichen Medizin […]“

Das ist handelsübliches Höbbadden©-Gesülze mit der tausendfach gehörten, ganz, ganz durchschaubar mauen Argumentation der überlegenen Ganzheitlichkeit. Jeder (gute) Hausarzt schaut sich seine Patienten, ihre körperlichen Gebrechen, ihre Psyche, ihre psychosomatischen Probleme, ihr Umfeld und viele weitere Faktoren an. Ja okay, ein Zahnarzt ist jetzt nicht unbedingt an den Hämorrhoiden seiner Klientel interessiert. Was macht der Höbbadde© hingegen: Der sagt, hast Du was mit der Nase, hau dir geschredderten Tintenfisch rein, bums, aus Ende. Da biste nach fünf Minuten raus aus der Bude.

Aber Frau Grams wird nun antworten (und auch das ist typisches Szene-Geschwurbel), jahaaaa, aber bei meiner Homöopathie ist alles ganz anders. Würde sie nicht, ist zu billig, meint ihr? Zitat:

Die Homöopathie gibt es nicht. […] Meine Vermutungen (sic!) beziehen sich deshalb vor allem […] direkt auf Hahnemanns Texte […]“

Nun ja, die „Ganzheitlichkeit“ bezieht die Autorin letztlich darauf, dass der Höbbadde© mehr Zeit für seine Opfer Patienten mitbringt. Und dass man diesen Effekt doch ausnutzen könne, ebenso die Placebo-Kraft der Glaubuli. Mh, kann man. Man könnte den Hausarzt auch einfach besser entlohnen, sodass er sich entsprechend Zeit für seine Patienten nehmen kann. Und weshalb man nun krampfhaft versuchen sollte, sich die Zuckerkügelchen als ein Super-Placebo hinzuziehen, mag mir auch nicht einleuchten. Denn ich finde es schlicht unmoralisch, jemandem etwas unterzujubeln, das nachweisbar keinen Effekt über Placebo hat.

Noch so’n Spruch, der mich auf die Palme bringt:

„Dem komplexen System Mensch kann sich die normale Medizin derzeit noch nicht tiefreichend nähern.“

Was wäre bitte „tiefreichend“? Konkretisiert sie leider nicht, und so bleibt es eine inhaltlich nicht tiefreichende Nullaussage. Aber der Satz danach lautet:

„In der Homöopathie wird es zumindest versucht.“

Ja zappzerrapp, was für ein saudoofes Geschwätz. Es wird auch durch millionenfaches Widerkäuen nicht richtiger. Was sagt man zum Fußballtorwart, der mit einem Tischtennisschläger einen Elfmeter zu halten versucht? „Gut gemacht, hast es zumindest versucht“? Nein, elende Hacke! Entweder der Torwart zieht endlich seine Torwarthandschuhe an und lernt, sich in den Dreck zu werfen, oder er ist raus. Die Höbbaddie© ist der Tischtennisschläger der Medizin. Unfug, unbrauchbar, und dass man es immer noch „versucht“, sagt nur etwas über den Geisteszustand der Höbbadden© aus (oder deren Motivation, meiner Meinung nach leicht gemachte Kohle und gut bei fühlen, aber das ist ein anderes Thema).

Aus den oben zitierten falschen Annahmen konstruiert Frau Grams nun das, weshalb man Homöopathie neu denken könne. In den ganzheitlichen Anspruch rührt sie noch den Geist und emotionale Ebenen mit ein, die bitteschön auch Gegenstand weiterer Forschung werden sollten, sie biegt sich ein Studiendesign für homöopathisches Setting zurecht (auf die Frage der Scientabilität geht sie nicht ein, schade), quirlt sozialwissenschaftliche Aspekte hinein und möchte auf diese Weise weitere Effekte der Höbbaddie© wissenschaftlich überprüfen.

Wozu? Wenn sich seit 200 Jahren keine nennenswerten Wirkungen gefunden haben, werden sich auch in 200 Jahren keine mehr finden. Selbst wenn man in Studien noch die durchschnittliche Flügelschlagfrequenz des westjamaikanischen Kolibris an einem verregneten Mittwochabend mit einrechnet. Wir haben doch gerade das sozialwissenschaftliche oder auch psychologische Handwerkszeug, um die Medizin zu ergänzen. Wozu müssen wir dem das Label „neu gedachte Homöopathie“ aufkleben?

Weil: Die „neu gedachte“ Homöopathie biete, so Frau Grams weiter, durch ein entsprechendes Setting mit viel Zeit und Empathie, dass sich der Patient auch emotional gut aufgehoben fühle, er Stress abbaue und hierdurch die Selbstheilung fördere. Ja wow, was für ein Allgemeinplätzchen.

Eine Frechheit ist ein eigens eingerahmter Satz, den sie als Fazit zieht:

„Die Homöopathie ist schlecht in der Theorie, aber gut in der Praxis. Bei der wissenschaftlichen Medizin verhält es sich genau andersherum.“

Da hat sie 150 Seiten lang belegt, dass die Homöopathie nicht funktioniert, um dann im Abgang zu konstruieren, dass sie aber gut in der Praxis sei (wegen Zeit und Empathie, klar). Oh bitte.

Ich bin mir nach der Lektüre des Büchleins und den Aussagen im letzten Kapitel nicht sicher, ob die Autorin hier nicht versucht, sich als eine „neue Homöopathin“ im Schwurbelkonzert der Höbbaddie© zu platzieren und sich von skeptischer Seite Rosen abzuholen, um hinterher sagen zu können: „Ey, die haben mich doch lieb. Also muss was dran sein an neu gedachter Homöopathie.“

Frau Grams: Das Höbbaddie©-Pferd ist nicht mal mehr zu tot, um geritten werden zu können. Es ist schon längst verwest, skelettiert und seine Knochenreste sind vor langer Zeit im Sand zerbröselt und vom Winde verweht. Einzig ein guter (das muss man anerkennen) Lobby- und PR-Apparat hält ein Bild von einem Pferd in die Kamera und behauptet, dass der Gaul doch da sei. Klar, die verdienen auch viel Kohle damit. Homöopathie neu zu denken heißt, dem Klepper auf dem Bild noch ein paar Pünktchen aufzumalen und eine Lustige-Ohren-Kollage anzukleben. Nur: Es bleibt ganz sicher ein Bild.

 

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Anm.: Ich kann mir vorstellen, dass der Artikel ziemlichen Gegenwind bekommt. Da ich aber erst heute Mittag wieder vor einem PC sitze, kann ich neue Kommentatoren erst dann freischalten. Drum bitte ein wenig Geduld.

29 Kommentare zu “Höbbaddie© neu gedacht. Wirklich? Wozu?

  1. Du gehst hart ins Gericht mit Frau Dr. Grams, hast aber in der Sache vollkommen recht. Die Relativierungen im letzten Buchkaptitel sind wirklich alter Milchzucker in neuen Globuli. Wenn ich das mit „ganzheitlich“ schon höre… Homöopathie nach Hahnemann ist eine rein symptombezogene Arzneimitteltherapie. Das „Ganzheitliche“ ist der halbe St.-Martins-Mantel, den sich die Höbbaden immer selbst umwerfen.
    Trotzdem versage ich Frau Dr. Grams weder mein Interesse noch meinen Respekt. Das ominöse Kaptiel kann auch als menschlich höchst verständliches Artefakt jahrelanger Überzeugungen gesehen werden. Und ein Plädoyer für eine bessere Honorierung persönlicher ärztlicher Bemühungen -am besten unter Streichung aller Erstattungsfähigkeit von Hokuspokus- unterschreibe ich jederzeit gerne.

    • Mein Interesse hat sie. Und das Buch war wirklich auch gut zu lesen und sehr informativ. Vor allem Leute, die sich noch wenig mit der Höbbaddie beschäftigt haben, können davon profitieren.

      Aber dass sie das am Ende konterkariert, ist halt schade. Und macht mich misstrauisch.

    • Dem schließe ich mich voll und ganz an, Udo. Zeit für den Patienten und genaues Hinschauen (bzw. angemessene Bezahlung des Arztes, der das tut) sollte nicht den Homöopathie vorbehalten bleiben. Und weshalb ausgerechnet die Homöopathen sich für die Ganzheitlichen Patientenversteher halten und der evidenzbasierten Medizin deren angebliche Symptomdokterei vorwerfen, habe ich auch noch nie verstanden. In Wahrheit ist es doch eher umgekehrt.

      ***
      Das Buch ist gut, gerade weil es von einer vormals überzeugten Homöopathin kommt. Für ihren öffentlichkeitswirksamen Ausstieg hat sie auf jeden Fall meinen Respekt. Das letze Kapitel ist, hm, unnötig, peinlich, bedauerlich, wohl auch verständlich, gehörte aber jedenfalls mal aufs Korn genommen. Gut, aargks, dass Du es herausgepickt hast, damit es im allgemeinen Jubel über den Rest des Buches nicht unbemerkt bleibt.

      Dass die wissenschaftliche Medizin gut in der Theorie und schlecht in der Praxis sei, ist Unsinn. Natürlich kann und weiß sie nicht alles, die wissMed. Ich habe Verwandte und Freunde verloren, weil das so ist. Aber sie weiß und kann doch eine ganze Menge. Mehr als die Homöopathie von sich behaupten kann, von den praktischen Erfolgen mal ganz zu schweigen. Von daher finde ich auch, da gehört nichts neu gedacht, der hahnemannsche Mummenschanz gehört komplett in die Tonne.

  2. Also bei mir hilft Infludo gegen aufkommende Erkältungen. Und wahrscheinlich auf zwei Wegen: 1. Placebo 2. Das Zeug enthält fast so viel Alk wie Klosterfrau Melissengeist. Prost!

  3. Naaaah…..:) Lustig zu lesen Dein Artikel – ich denke, man muss die Leute da abholen, wo sie sind. Ein vom Gegenteil überzeugter Höbbad ist mehr wert als wenn er das Buch weglegt und mit dem Schrott weitermacht.

    Ich denke nur, dass sie (mit ihren eben immerhin jahrelang durch die Höbbaddie geprägten Denken) ausdrücken wollte, dass die Patienten das Gespräch auf psychologischer Ebene und evtl. Placebos brauchen, um ihr Immunsystem und damit die Selbstheilungskräfte zu optimieren, wenn’s denn an diesem allein läge (plus notwendige medikamentöse Behandlung).

    • Ich persönlich finde den Begriff „Selbstheilungskräfte“ völlig unpassend. Für mich klingt das immer eher nach Superheldenfähigkeit und Magie. Geeigneter finde ich da sowas wie „körpereigene Regenerationsprozesse und Heilungsmechanismen“.

  4. „…biegt sich ein Studendesign für homöopathisches Setting zurecht..:“

    = studendesign ?
    (wahrscheinlich nur ein Vertipper? aber was…?)

  5. @Django
    Ja, da habe ich mich ungenau ausgedrückt. Wie @Roichie schrieb, kommt Dein Immunsystem von alleine in Schwung, das hat mit Infludo nichts zu tun.

  6. Vastehe ich nicht (hab‘ das Buch auch nicht gelesen). Will Frau Dr. Grams, dass Ärzte eine wirkungslose Arznei abgeben, weil sich so die Gelegenheit ergibt, mit dem Patienten auch zu reden? Wäre es da nicht sinnvoller, zuerst mit dem Patienten zu reden und dann keine oder eine wirksame Arznei abzugeben? Wenn’s doch nur um’s Reden und Köpfchentätscheln geht, warum dann noch Homöopathie? Man muss sich mal bewusst machen, dass diese Globuli höchst arbeitsintensiv sind, mit dem ganzen Schütteln, Verdünnen und auf Lederkissen hauen. Das sind schlecht eingesetzte Ressourcen, wenn man das Gleiche doch auch mit einem maschinell gefertigten Globuli-Placebo erreichen, so lange nur das ganze Brimborium drumrum stimmt.

    • Geht so in die Richtung. Auf den ersten 150 Seiten des Buches sagt Frau Grams, warum Kügelchen nicht wirken können (über Placebo), um hinterher noch eine Art Superplacebo anzudenken. Also in dem Sinne, dass man (neben Köpfchentätscheln) doch diese Seite der Höbbadddie nutzen könnte.

      Wäre es da nicht sinnvoller, zuerst mit dem Patienten zu reden und dann keine oder eine wirksame Arznei abzugeben?

      Die Antwort kann nur ja lauten. Aber sag das mal einem Höbbadden (der ja auch meint, dass sein Schwurbelwasser wirksam sei).

      Ich find’s auf die Schnelle nicht, aber ich habe mal irgendeine TV-Doku über Homöopathie gesehen, bei der die Produktion schon relativ automatisiert war, inklusive aufs Leder kloppen.

  7. Also auf gut Deutsch: Die Dame glaubt, dass der Patient verarscht werden will. Anstatt einer realistischen Aufklärung über Optionen und Heilungschancen wollen Patienten ein bisschen Vodoo. Der Arzt weiß zwar, dass es nichts bringt, behält aber den Wissenvorsprung im Interesse des Patienten für sich. Und der Patient ist froh und glücklich, wenn sich Herr oder Frau Dr. Weißkittel einfach nur ein bisschen Zeit für ihn nimmt. Das ist eine Hybris, da sträuben sich bei mir die Nackenhaare.

    Wg. automatisierter Produktion: Ich würd‘ auch Geld drauf wetten, dass es genug Unternehmen gibt, die das ganze Brimborium einfach weglassen – denn wie soll das auch nachträglich nachgewiesen werden, wenn eine chemisch-physikalische Überprüfung nicht funktioniert und nur das „Ehrenwort“ des Unternehmens herhalten muss? In einer Doku über WALA wurde behauptet, dass das tatsächlich manuell gemacht würde – fand‘ ich schon seeehr unglaubwürdig.

  8. Also auf gut Deutsch: Die Dame glaubt, dass der Patient verarscht werden will. Anstatt einer realistischen Aufklärung über Optionen und Heilungschancen wollen Patienten ein bisschen Vodoo.

    Nee, das wäre zu hart gesagt. Sie möchte – sofern ich das richtig verstanden habe – die „positiven“ Aspekte von Homöopathie, darunter z.B. die längere Gesprächsdauer, in der Medizin mehr intergriert wissen. Guter Ansatz. Aber sie pappt da eben immer noch „neu gedachte HP“ drauf. Und wie ich im Artikel schon schrieb: Wir haben Handwerkszeug und Methoden aus anderen Disziplinen wie Soziologie, Psychologie und weißderkuckuck, um medizinische Behandlungen zu ergänzen, zu erforschen und zu verbessern. Ein Höbbaddie-Label finde ich unangebracht.

  9. Lieber aargks. Hab grad Deinen Kommentar auf dem GWUP Blog gesehen und deshalb mal angenommen, dass mein Buch (und darin vor allem das letzte Kapitel) Dich noch beschäftigt. Deshalb hier der Versuch einer Antwort. Ich versteh schon, was Du daran kritisierst. Aber erstens war das Ablösen tatsächlich ein Prozess. Die Entscheidung die Praxis echt zu zu machen fiel quasi erst mit der allerletzten Korrektur des Manuskripts. Heute würde ich einige Teile sicher anders schreiben. Zweitens ist es aber so, dass ich ganz bewusst kein „klassisches kritisches“ Buch schreiben wollte. Davon gibts genug. Bessere als meins in der Sachlichkeit. Es gibt aber keines davon, das die Patienten erreicht. Und erst recht keines, das die Homöopathen erreicht. Mein Buch ist der Versuch, das zu schaffen. Es ist deshalb „netter“. Ob es gelingt weiß ich nicht. Aber es wäre das Ziel und die Hoffnung. Wie jemand so fein auf Amazon in einer Rezension geschrieben hat: es ist eine Art Rettungsring, den ich dem Homöopathen da zuzuwerfen versuche, denn ich bin davon überzeugt, dass ein Ende der Homöopathie nur auf Raten zu erreichen ist. Wie soll ein DZVhÄ einfach „Schluss machen“? Wie sollen tausende Hps ihre Praxis zumachen? Wie sollte die Gesetzgebung, die Ärztekammer vorgehen? Und für mich am allerwichtigsten: was passiert mit all den Patienten, die sich in der Hp bisher gut aufgehoben fühlen? Wo sollen die hin? Dieses Buch ist der Versuch eine Lösung anzubieten. Eine die eigentlich klar macht, dass es aus ist mit der Hp (das Pferd tot, ja, in der Tat), aber eine, die tragbar ist für die bisher total Überzeugten.
    Aber ich sehe aus meinen jüngsten Erfahrungen gerade aus der Diskussion mit vielen hardcore-Hps: mein Buch lesen die wenigsten und die anderen bleiben so oder so bei ihrer Meinung und Erfahrung. Keine Chance. Insofern, falls es jemals ein zweites Buch gäbe, hieße es „Homöopathie zu Ende gedacht“. Dennoch bleibe ich dabei, dass das was das homöopathische Setting anbietet (von allem Schwurbel-Blödsinn mal losgelöst), für Patienten eine gute Sache ist, aus psychologischen Gründen. Nichts für ungut. LG Natalie

    • Das finde ich alles soweit einleuchtend, zumindest jedenfalls bedenkenswert. Die Idee mit dem Rettungsring gefällt mir, und damit die Absicht, Leute freundlich sozusagen am Rand abzuholen. (Ob es funktioniert, ist eine andere Frage, aber die stellt sich genauso bei der kompromisslosen harten Linie. Wahrscheinlich stehen Sie mit ihrem Ansatz letzen Endes auch nicht schlechter da als viele Skeptiker.)

      Wo Sie meiner Meinung nach recht haben: Man kann die Homöopathie sicher nicht von heute auf morgen abschaffen, quasi ausschalten. Dafür hängen zu viele Leute drin, als Ärzte und als Patienten. Die muss man irgendwie weiter versorgen, ihnen eine Möglichkeit zum Übergang geben. Wenn die plötzlich in der Luft hängen, kann nichts gutes dabei herauskommen, zumal es ja jede Menge anderer esoterischer Behandlungsmethoden gibt, die in die so geschaffene Lücke springen und den Markt dann u.U. sehr schnell übernehmen könnten. Dann wäre man wieder da, wo man vorher schon war.

      Und dass Sie als praktizierende Homöopathin nicht in einem Moment ausgestiegen sind sondern dass das ein Lern- und Erkenntnisprozess war und Ihr Buch eben währenddessen entstanden ist, kann ich auch nachvollziehen. Gerade bei solchen tiefgreifenden Veränderungen kann man sicher keine geradlinige Perfektion erwarten. Sowas lässt sich wohl kaum ohne, sagen wir, langsames Vorantasten hinkriegen.

      Ihren Umgang mit Kritik (wie hier) finde ich ziemlich beeindruckend, da ziehe ich den Hut. Und auf ein zweites Buch wäre ich gespannt!

      • Vielen Dank, gnaddrig, ich hatte eigentlich die Email-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren angeklickt, aber das hat wohl nicht funktioniert, deshalb erst heute eine Antwort. Meine Sorge wäre, wie Sie ja auch schreiben, dass wir mit einer ad hoc Abschaffung der Homöopathie (aber wer sollte die auch durchführen? Frau Merkel? Der DZVhÄ hat ein Einsehen und schafft sich selbst ab? Die BfArM sagt, ups, wir haben da mit den besonderen Therapierichtungen ja einen Fehler gemacht? Die Ärztekammer lässt keine neuen Homöopathen mehr ausbilden?) eine Lücke für noch schlimmere „Alternativen“ schaffen und die Menschen noch weiter weg von gesichertem Wissen und belegbaren Therapien treiben. Das spricht nun natürlich nicht für die Homöopathie aber es zeigt doch, dass das Problem komplex ist und viel Aufklärung nötig. Bin dran ;-))

    • Auch wenn ich kein Freund der Homöopathie bin: Mit einer Abschaffung auf Gesetzeswege, per Berufsverbot gar, hätte ich aus ganz grundsätzlichen Überlegungen ein Problem. Die Berufsfreiheit ist ein hohes Gut, sie einzuschränken sollte absolute Ausnahme bleiben. Zwar ließe sich eine Interventionsnotwendigkeit des Gesetzgebers sicherlich begründen, dieser wäre aber nach meinem Dafürhalten mit einer entsprechenden Deklarationspflicht, z.B. dahingehend, die Homöopathie würde keiner wissenschaftlichen Nachprüfbarkeit standhalten, durchaus Genüge getragen. Unredliche Heilversprecher werden ja auch jetzt schon sanktioniert.
      Unsere freiheitliche Gesellschaft kann und wird die Homöopathie, wie auch groteskere Ansätze wie geistige Heiler und Engelsbeschwörer per Telefon, leider aushalten müssen, wenn man nicht grundlegendere Werte gefährden möchte. Dem Individuum sind nun einmal weitreichende Recht und Pflichten ermöglicht worden, was zu Meinungspluralismus und der Mannigfaltigkeit des Angebots führt, jedoch ein Erkennen der Richtigkeit einer Handlungsalternative nicht immer erleichtert.
      Was mir als Möglichkeit in den Sinn kommt: Die Zulassungshürde zu erhöhen. So könnte man die Ausbildung zum Homöopathen durchaus ermöglichen, allerdings wäre die Grundvoraussetzung ein Nachweis ausreichender praktischer und wissenschaftlicher medizinischer Kenntnisse in Form einer Approbation als Arzt. Auf dieses Art und Weise wäre ein gewisser Qualitätsstandard gesichert, Homöopathie wäre dann nur eine Qualifikation unter vielen. Und keine vermeintlich grundsätzliche „Alternative“ zur „Schulmedizin“ mehr.

      Gänzlich wird man das Problem, dass sich Menschen irrationalen Behandlungsformen zuwenden, sowieso nicht in den Griff bekommen. Auch hier greift das hohe Gut der Wahlfreiheit, wenn die entsprechende Aufklärung verfügbar ist -und das ist sie, noch nie so umfassend wie heute- darf, wer will, soll, wer´s braucht.
      Die Sehnsucht nach“sanfter“ Medizin scheint mir tief verwurzelt. Als Folge der hierzulande herrschenden Qualitätsstandards haben die meisten zugelassenen Medikamente einen ellenlangen Beipackzetteln mit allerlei unerquicklichen potentiellen Nebenwirkungen. Dazu kommen noch die meist unaussprechlichen, nach Chemie klingenden Namen und, gerade bei schwereren und/oder chronischen Erkrankungen, die Inkaufnahme von allerlei Nebenwirkungen. Das wirkt bei vielen Daseinsteilnehmer auf den ersten Blick abschreckend, kalt, unsympathisch, gar pharmamafiaös krankmachend.
      Die „Alternativmedizin“ (dieser unpassende Begriff hat sich leider so eingebürgert, gibt es einen besseren?) hat sich mit solchen Befindlichkeiten selten herumzuplagen, kann jedoch auf wachsweiche, emotional besetzte Schlagworte wie „natürlich“, „nebenwirkungsfrei“, „altes Wissen“ und „ganzheitlich“ setzen, die Herz wie Hirn gleichermaßen erweichen sollen.
      Erschwerend kommt hinzu: Wir haben hierzulande ein im Vergleich zum Rest der Welt sensationelles Gesundheitssystem. Beim Scheitern „alternativmedizinischer“ Plumpssackereien steht immer eine Back-up-Lösung in Form des auf empirischer Nachvollziehbarkeit fußenden medizinischen Apparats zur Verfügung, dessen Aufwendungen in den allermeisten Fällen auch anstandslos beglichen werden. Solange wir uns dies im Guten wie im Schlechten erlauben können, solange es ein „und“, aber keine „entweder-oder“ gibt, wird die „Alternativmedizin“ blühen und gedeihen.

      Der einzige Weg aus der Misere scheint mir wirklich der Wettstreit um die Köpfe und Herzen: Bildung, Bildung, Bildung, Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung. Dazu viel Empathie, viel Geduld, ein beglückendes Hobby zum Ausgleich.
      Und Ruhe und Gelassenheit gegenüber dem unbelehrbaren Rest. Der gehört dazu.

      Möglicherweise auch ein zweites Buch von Ihnen, Frau Grams, zur Festigung des Standpunktes, als Fortsetzung einer Beschreibung des von Ihnen eingeschlagenen Weges, mitsamt seiner Irrungen und Wirkungen. Als Widerhall dessen, was Ihnen an Lob und Kritik angetragen wurde, was Sie an guten und schlechten Erfahrungen machen durften, machen mussten.
      Die Art und Weise, wie Sie sich hier und anderswo dem Diskurs stellen, ernsthaft, offen, sachlich, aber mit persönlicher, emotionaler Note, finde ich übrigens ebenfalls lobenswert. Bleiben Sie tapfer.

      • Danke, Lalaburg, an diese Punkte hatte ich bisher noch gar nicht in der Form gedacht. Mit „abschaffen“ (sag ich ja mehr so provokativ als realistisch gemeint) meine ich eher: raus mit der Homöopathie aus der Medizin. Ein bisschen konträr zu Ihrem Vorschlag der Erhöhung der Ausbildungshürde. Ich denke eher: im evidenzfreien Raum des Heilpraktikerwesens kann auch die Hp einen „guten“ Platz bekommen. Dafür aber mehr menschliche Zuwendung und Zeit und Abrechnungsmöglichkeiten für ärztliche Gespräche rein in die Medizin. So in etwa der Plan, wenn es denn einen gibt.
        Und ja, Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung – möglichst bereits in der Schule. Was ist Wissenschaft, was ist Parawissenschaft. Was ist rationales Denken, was ist intuitives Denken. Was hilft wann…
        Danke auch für Ihre Ermutigung. Tut gut:-)

  10. Tja, dei Aufklärung in der Schule … meine Tochter macht gerade internationales Abitur (in England) und hat dort „Theory of Knowledge“ als EIGENES FACH. ZWEI JAHRE LANG.

    Stattdessen bilden sich die Freaks bei uns immer noch ein, dass man das Denken am besten im … Überraschung … Lateinunterricht lernt. Während die Lehrer wegschauen, wenn Schüler fürs Lernen-Wollen gemobbt werden. Am Gymnasium, wohlgemerkt.

    • Wow, theory of knowledge. Wenn das nicht auch nur ein „doofes Fach“ von vielen ist, klingt das vielversprechend.
      Im Studium der Medizin gehts ja übrigens auch weiter mit nur Lernen und nicht Denken lernen…

      • @ Natalie Grams: Meine Nichte hatte in ihrem ersten Semester an einer deutschen Uni drei studiengangsübergreifende Module: Wissenschaftsgeschichte, Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsethik. Jetzt, ein paar Jahre später, würde ich sagen: Das hat Spuren hinterlassen, im Denken insgesamt und in der Reflexion dessen, was sie nun beruflich macht.

    • Zu den Freaks, die mit Lateinunterricht Denken lehren wollen, hätte ich gerne eine Quelle. Kraft eigener Erfahrung würde ich dem Lateinunterricht diesen Nutzen nicht zuschreiben, aber den Nutzen, grammatische Kategorien zu verstehen. Aufgrund der ausgeprägten Morphologie sind diese Kategorien plastischer und greifbarer als in den lebenden Fremdsprachen, die mir über den Weg gelaufen sind (zugegeben: Russisch habe ich nie gehabt, und die Verbalmorphologie im Spanischen oder Italienischen ist auch nicht ohne), und wiederum kraft eigener Erfahrung würde ich sagen, dass die Distanz zur toten Sprache dabei hilft, das Grammatikwissen zu verallgemeinern und dann auch auf die Muttersprache anzuwenden.

      Und was das Denkenlernen angeht: Ich hatte in der Oberstufe Philosophie als Wahlfach, außerdem das Glück, in meiner ganzen Schulzeit tolle Geschichtslehrer und ca. die Hälfte der Zeit tolle Mathelehrer gehabt zu haben. Hat nicht geschadet ;-)

      • Die Quelle ist jeder beliebige Lateinlehrer, insbesondere an jedem beliebigen humanistischen Gymnasium. :-/
        Bez. spanisch kann ich dir 100% zustimmen. Insbesondere gibt es da ein paar Ideen, die das Deutsche nicht hat. (Das Lateinische auch nicht.) Aber spanisch ist halt irgendwie uncool …

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