Eklige Heuchler

Dass ein verurteilter Serienkrimineller gegen Flüchtlinge hetzt, sich einst aber selbst in ein fremdes Land abgesetzt hatte, um seiner Gefängnisstrafe zu entgehen, ist ja schon ein klein wenig ironisch. Wenn eben jener Hetzer und Vollzugsflüchtling einen in Istanbul gebürtigen Redner zu seiner Geburtstagsparty einlädt, um gegen die „Überfremdung“ Deutschlands zu geifern, ist das dann Satire, unauflösbare Dialektik oder einfach nur dumm wie Schifferscheiße?

Und sind die Leute, die seit einem Jahr ihren Patriotismus für Europa entdeckt haben – aber die ersten sind, die gegen die EU wettern – besorgte Bürger, verkappte Nazis oder einfach nur dumm wie zwei Meter Feldweg?

Bei der Pegida-Party in Dresden sprach Akif Pirinçci. Ein rechtsextremer Überintegrierter, der in seinen Büchern (Post-Felidae) und in seinem Blog gegen die, Zitat, „Verschwulung“ hetzt oder die „Umvolkung“ anprangert. Und der auf seinem Blog stolz angekündigt hat, für die Pegida-Zusammenrottung einen „hübschen Text“ vorbereitet zu haben, „der in Sachen Wutrede in diesem Lande Maßstäbe setzen wird“.

Hat er. Es ist zur Genüge daraus zitiert worden, mit seiner KZ-Bemerkung „leider derzeit außer Betrieb“ wollte er im Übrigen sich und andere Fremdenfeinde als Opfer stilisieren, sehr geschmacklos. Ich habe mir die in lausiger Tonqualität von Pegida-Oberhetzer Bachmann auf Youtube gestellte Veranstaltung angeschaut. Drei Stunden mit Bachmann, Festerling & Co. – es wird einem schlecht.

Lowlights aus Pirinçcis miserabel abgelesenem Konvolut: Politiker sind „Gauleiter, die gegen das eigene Volk agieren“. Flüchtlinge sind „Invasoren“. Es geht um einen Moslem, „der mit deutscher Kultur so viel gemein hat wie mein Arschloch mit Parfümherstellung“, er redet von „islamischer Vorzivilisationshölle“, salbadert „das kranke Gesinnungsarschloch steht nun mal weit offen“, er referiert über – selbstverständlich – toitsche deutsche Frauen, die vergewaltigt werden und in die der Moslem seinen „Moslemsaft eingepumpt hat“, es geht um „Mulitkultischeiße“ und darum, dass „Gräber für die Deutschen geschaufelt“ werden.

Wer solch ein Vokabular ohne Widerspruch erträgt, ist vollkommen empathielos, restlos lobotomiert oder dumm wie ein Nazi. Wer solchem Vokabular Beifall spendet, ist ein Nazi. Und es wurde Beifall gespendet, der Mob johlte hämisch und applaudierte und tobte und wütete und schrie und unterstützte Pirinçcis widerwärtige, hetzerische und fremdenfeindliche Aussagen. Der Mob schrie, während der gesamten Veranstaltung und während Pirinçcis Rede, „Wir sind das Volk“ und x-fach „Widerstand, Widerstand, Widerstand“.

Fast eine halbe Stunde lang während des zusammengestotterten Gestammels Pirinçcis, der sich immer wieder verhaspelte, applaudierten Tausende „besorgte“ Bürger. Es dauerte rund 25 Minuten, bis ein (!) Teilnehmer ruft: „Keine Hetze“. Eine Stimme, eine einzige, in die nicht ein zweiter einstimmt, geschweige denn, dass die Menge mitmacht. Ein einziger Rufer in einem Meer von 30.000 Menschen ruft „Keine Hetze“, alle anderen schweigen.

Pirinçci schwafelt dann noch von der „Moslemmüllhalde“, bevor – auf einmal doch – die Menge „Aufhören“ skandiert. Nach fast einer halben Stunde Hetze gegen alles, was die Zivilgesellschaft seit der Aufklärung an humanistischen Werten entwickelt hat. Fast eine halbe Stunde lang lässt man Pirinçcis prähistorisches Weltbild nicht nur gewähren, sondern spendet ihm tosenden Applaus.

Und dann beginnt die große Heuchelei. Einen Tag später distanziert sich der Heuchler Bachmann, als ob er vorher nicht um die Inhalte der Rede gewusst habe, von Pirinçci. Zitat „Das von Herrn Pirinçci Vorgetragene lag uns so nicht vor, sonst hätten wir von vornherein abgesagt.“ Und weiter: „Aber, ich bin froh, dass die Masse der Spaziergänger den Vortrag ebenso unterirdisch fand und derart plumpe Hetze ablehnt, was durch ein Pfeiffkonzert, Buh-Rufe und ‚Aufhören‘-Rufe sowie massenhafte Abwanderung vom Theaterplatz deutlich gemacht wurde.“

Mnja, in den letzen paar Minuten. Davor feierten die „Spaziergänger“ die Aussagen Pirinçcis frenetisch. Die Heuchelei auf die Spitze treibt Bachmann mit, Zitat: „Ich bin stolz, dass Pegida derart gefestigte, politisch gebildete Menschen mobilisiert, welche klar die Grenze zwischen berechtigter Kritik und dumpfer Islamhetze kennen und verfechten.“

Sicher, Lutz, sicher. Mit derart mauer Rhetorik schafft es der Oberhetzer vielleicht, dem Pegida-Mob ein ruhiges Gewissen einzureden. Dem „Ich habe nichts gegen Ausländer, aber …“-Deutschen eine Rechtfertigung für seinen Hass und seine Unmenschlichkeit hinzubiegen. Die unsägliche Heuchelei am Stammtisch zu füttern, ich kann es schon hören: „Der Pirinçci war doch bissl hart, aber eigentlich hat er ja Recht“. Einer muss es ja sagen, gell?

Ich habe hier schon erwähnt, was ich von solchen Leuten halte, die sich ihre Xenophobie hinbiegen, bis die Logik knirscht, und möchte es nochmal wiederholen: Sag es doch einfach, sei ehrlich zu Dir und sage: “Den Neger, das Kopftuchmädchen und den bärtigen Muselman will ich hier nicht haben!”

Die ekligsten Heuchler sind nicht die Bachmanns und Festerlings und Pirinçcis. Es sind die Mitläufer, die 30.000 Fahnenschwenker, Beifall-Klatscher und „Wir sind das Volk“-Skandierer.

Ihr seid eklige Heuchler, die nicht einmal die Eier haben, zu dem zu stehen, was Ihr vertretet.

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PS: Wisst Ihr Rolli-Fahrer eigentlich, die Ihr in dem Video in erster Reihe zu sehen seid, was Leute wie Bachmann und Pirinçci vor 70 Jahren mit Menschen mit Behinderung, so genanntem „unwerten Leben“ gemacht haben?

 

 

16 Kommentare zu “Eklige Heuchler

    • Wie meinen?

      Du willst sagen, dass IS-Kämpfer widerliche, menschenverachtende Religioten sind? Richtig. Hat halt nix mit widerlichen, menschenverachtenden Pegidioten zu tun. Und schon gar nicht aufrechnenderweise.

      Aber was soll man von Dir/Euch halten, die auf der Website brüllen, Zitat: „GEGEN DIE ISLAMISIERUNG UND DEN DIKTATORISCHEN WELTMACHTANSPRUCH DES ISLAM“ und auch sonst Pegida knorke finden. Hast Du die Versalien dort aufgebraucht, weshalb Dein Kommentar hier nur noch kleingeschrieben daher kommt?

  1. Mein erster Gedanke, als Bachmann sich für die Hetze Pirinçcis entschuldigte, war auch, dass das ein PR-Schachzug ist. Der Stammtischmechanismus, den Du skizzierst, kommt mir plausibel vor, zumal sie lange genug gejubelt und applaudiert hatten bis kurz vor Schluss. Auch was andere Redner dort so von sich gaben (und teils ja seit Monaten immer wieder von sich geben) ist unterirdisch.

    So sehr ich vielen Leuten abnehme, keine Nazis zu sein (oder sei zu wollen) und wirklich echt besorgt zu sein – wer sich dort einreiht kann nicht behaupten, davon nichts zu wissen oder diese Hetze abzulehnen Wer da mitspaziert, ist Mitläufer. Sogar wenn Pegida & co. wichtige Themen ansprechen und echte Probleme benennen und damit nicht in allem Unrecht haben sollten – so geht das einfach nicht. Das ist nicht einfach Meinungsäußerung und politische Demonstration, das ist Hetze und Propaganda mit fließenden Übergängen in den Terror (genauso wie es fließende Übergänge in rechtsextreme Kreise gibt).

    Nichtrechtsextreme Besorgtheit, Ängste und Unsicherheit müssten sich auch anders äußern lassen. Anders als immer wieder behauptet leben wir ja nicht in einer Diktatur, genießen wir ja Meinungs- und Versammlungsfreiheit (allein die Tatsache, dass man diese Leute spazieren lässt und nach Kräften vor Gegendemonstranten abschirmt, belegt das sehr schön), es gibt reichlich Möglichkeiten, Gleichgesinnte zu organisieren, Öffentlichkeitsarbeit zu machen usw. Und auch wenn die Medien bei uns nicht unfehlbar sind (an der unsäglichen Berichterstattung zu Israel und den Palästinensern kann man sehen, dass die manchmal ganz schön Schlagseite haben), sehe ich kein systematisches Totschweigen einer Seite oder Bevorzugung einer anderen Seite. Es gibt wenig Entschuldigung für echt Besorgte, bei Pegida u.ä. mitzulaufen, ohne sich mit deren Hetze gemein zu machen.

    Die FAQ von Enno Lenze kannte ich noch nicht. Klasse Idee das, kann man sicher noch ausbauen. Weiterverbreitung ist jedenfalls sehr zu empfehlen.

  2. So sehr ich vielen Leuten abnehme, keine Nazis zu sein

    Bist eben doch ein Philanthrop, ich sehe das sehr, sehr pessimistisch.

    wer sich dort einreiht kann nicht behaupten, davon nichts zu wissen oder diese Hetze abzulehnen

    Ganz genau.

    Besorgtheit, Ängste und Unsicherheit müssten sich auch anders äußern lassen

    Nochmal ganz genau. Nur wie?

    • Tja, wie? Wenn ich das wüsste. Eher: Anders äußern ist leicht, Gehör finden nicht so. Um gehört zu werden muss man Sachen griffig formulieren, und das begünstigt Phrasendrescherei und Populismus, egal wofür oder wogegen man demonstriert. Von da dann zu einer vernünftigen, inhalteorientierten Diskussion (womöglich gar mit brauchbaren Ergebnissen) zu kommen, ist nicht leicht.

      Und wo berechtigte Ängste mal wahrgenommen und berücksichtigt werden und Eingang in irgendwelche gesetzlichen Regelungen finden, geht das viel zu leicht unter, gerade bei Dingen, die nicht so simpel sind, wie die Parolen auf den Transparenten das suggerieren.

      • „Um gehört zu werden muss man Sachen griffig formulieren, und das begünstigt Phrasendrescherei und Populismus, egal wofür oder wogegen man demonstriert. Von da dann zu einer vernünftigen, inhalteorientierten Diskussion (womöglich gar mit brauchbaren Ergebnissen) zu kommen, ist nicht leicht.“

        Das Problem scheint mir zu sein, dass zwischen dem Getöse der Bachmänner und Konsorten mit ihrem „Alles raus, alles weg!“-Gekotze und den ebenfalls oftmals wie die Trompeten von Jericho aufbrausenden Reaktionen der unkonstruktiv-simplifizierenden Überoptimisten mit häufig nur unzureichendem Realitätsbezug die pragmatisch-abwägenden Stimmen schlichtweg untergehen. Oder, wenn sie einmal Gehör finden, mittels Brachialrethorik ins eine oder andere Lager geprügelt werden.
        Man versuche einmal als Gemeinde, in der so ziemlich alle gesellschaftlichen Träger mitsamt vieler, vieler freiwilliger Helfer seit Wochen und Monaten bis zur Erschöpfung an der Bewältigung der Flüchtlingproblematik arbeiten, einen Hilferuf abzusenden, inhaltlich dahingehdn, dass sich langsam aber sicher eine vollkommene Überforderung einstellt. Und man ganz dringend dieses oder jenes benötige.
        Bevor man da einen konkreten Maßnahmenkatalog in der öffentlichen Debatte positionieren und abarbeiten kann, darf man sich in den allermeisten Fällen erst einmal durch den Populismusdschungel roden, bei dem die eine Seite auftretende Probleme generalisiert und aus Einzelfällen Archetypen zimmert, die andere Seite Schwierigkeiten vollkommen negiert und deren Thematisierung stigmatisiert. Alles viel schwierig.

      • „Tja, wie?“

        Eins ist immer klar gewesen: wer sich als „Bürger“ sieht oder wähnt, kann nicht zu Gewalt (egal in welcher Form, inklusive aller Formen von Kriminalität) aufrufen, kann Gewaltanwendung nicht akzeptieren, kann angewandte Gewalt nicht im Nachgang rechtfertigen. Ein „Bürger“ kann das schon deshalb nicht tun, unabhängig von jeder moralischen Positionierung, weil es seine eigene Existenzgrundlage in jedem Fall bedroht. Wer willentlich auf einen aktiven Kriegszustand zwischen Bürgern hinarbeitet oder ihn nicht aktiv verhindert, bedroht sich selbst.

        Das ist immer die ultimative Grenze gewesen.

      • @ Lalaburg: Hast recht, da ist wieder so eine blöde Situation entstanden, wo sich zwei feindliche Lager gegenüberstehen, die zwischen sich nichts dulden und eine sinnvolle Auseinandersetzung mit dem Thema und den anstehenden Problemen verhindern. Schuld sind da durchaus beide Seiten. Es sind nicht nur die Rechten, die sich (und uns allen) ins Knie schießen, sondern auch die Überoptimisten. Die letzteren treiben manche einfach nur echt Besorgte (die vielfach an einer konstruktiven Auseinandersetzung und Problemlösung interessiert und dazu in der Lage sein dürften) den Bachmännern in die Arme und scheinen „ihrer Sache“ mehr und mehr einen Bärendienst zu erweisen.

        @ ajki: Das sehe ich genauso.

  3. Thomas Trappe hat anlässlich der neuesten Wutrede von Akif Pirinçci einen lesenswerten Artikel zum Thema Pegida, Bachmann und Akif Pirinçci geschrieben.

    Schon der Anfang ist klasse:

    Dass ein deutscher Rassist mit türkischen Wurzeln den Pegida-Chef Lutz Bachmann, der schon länger vor radikalisierten Südländern warnt, dazu bringt, sich nach rechts abzugrenzen, indem er sich von einem Migranten distanziert: Das allein ist ein Treppenwitz, bei dessen Besteigung man sich die Beine bricht. Kein Wunder also, dass das mir vorliegende Internet in den letzten beiden Tagen frei dreht und gar kein Halten mehr ist ob dieser kognitiven Dissonanzen[…]

    Interessant ist die Einordnung des KZ-Satzes, der viel zitiert und meistens (absichtlich?) falsch verstanden wurde und trotzdem schlimm ist.

    • Thomas Böhm schreibt auf Conservo zu demselben Thema und rückt die in den Medien verbreitete falsche Interpretation des KZ-Satzes ebenfalls gerade, stößt aber erwartungsgemäß in ganz andere Hörner: Herr Pirinçci, die Lügenjournalisten und das KZ. Jede Menge Notwehrgerede, und natürlich sind nur die Spalter der Teile-und-Herrsche-Merkel-Regierung und ihre Schoßhunde von der Lügenpresse. Man könnte zum Pessimisten werden bei sowas…

      • „Man könnte zum Pessimisten werden bei sowas…“

        Könnte man. Weswegen man ab und ab heimlich, still und mörderisch ein wenig Schadenfreude darüber empfinden darf, dass die Meinungslautsprecher am hartrechten Rand zur Zeit enorm über die selbstgeschürte Paranoia kegeln. Jedenfalls würfeln sie immer noch darüber, wer denn nun der größere Spalter sei, der gute Herr Bachmann oder doch Herr Ulfkotte (ein paar mehr wurden noch genannt, aber die beiden liegen unangefochten in der Publikumsmissgunst vorne), inwiefern Akif Pirinçci ein Agent Provocateur (und seine ganze mediale Abstrafung nur eine Inszenierung) ist, ob wir nun schon im Faschismus leben (und wenn, wie schlimm der Faschismus inzwischen ist, schlimmer als im Dritten Reich oder doch nur auf DDR-Niveau) und, ganz wichtig, wessen Masken durch das Debakel vom Montag nun endgültig gefallen sind (Merke: Die „Deutschen Wirtschafts Nachrichten“ sind inzwischen auch „Lügenpresse“, beim Kopp-Verlag ist das Stimmungsbild noch indifferent).

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