Kinder-Uni-Verarsche der Stuttgarter Zeitung

Mein aargks-O-Meter mit der nach oben offenen Schwurbelskala kokelt: Die Stuttgarter Zeitung hat ausgerechnet in der Rubrik „Wissen und Computer“ unter ausgerechnet der Dachzeile „Kinder-Uni“ einen unglaublich unreflektierten PR-Quark über eine Kartenlegerin veröffentlicht.

Bevor ich den Artikel zerlege, kommt hier die Übersetzung: Liebe Kinder, heute an Eurer Kinder-Uni: Wir lesen die Zukunft. Klingt komisch, is aber so. Ganz ehrlich. Geht einfach. Ihr, liebe Kinder, könnt das natürlich nicht. Das kann nur die Tante Karin. Tante Karin ist nämlich etwas besonderes. Nicht so wie Ihr doofen Normalo-Kids. Irgendwann sind der Tante Karin nämlich beim Mau-Mau ihre miesen Karten aufgefallen. Da hat sie gedacht: Au weia, bei dem Spiel machste keinen Stich. Und weil sie Mau-Mau spielen nicht kapiert hat, hat sie andere Karten gekauft. Da sind ganz viele unterschiedliche Bildchen drauf, so mit Engeln und Totenköpfen und so. Das spielt die Tante Karin jetzt immer. Mag sie auch viel lieber als Mau-Mau, weil bei ihrem Spiel gewinnt die Tante Karin immer. Denn wer mit ihr spielen will, muss sein ganzes Taschengeld abdrücken. Das behält die Tante Karin dann für sich. Dafür erzählt sie Euch, welche Zeugnis-Note Ihr nächstes Jahr in Mathe bekommt. Oder auch nicht.

So Leute, mal ernsthaft: Der Artikel in der Stuttgarter Zeitung ist derart unterirdisch, dass mir die Worte fehlen. Nee, nur fast ;-)

Aber von Anfang an: Schon die Einleitung bereitet schön durchschaubar auf das bald kommende Geschwurbel vor. Ein paar Sätze über Zukunft, Wahlprognose, Forscher und wie diese Fakten und Umfragen für ihre Berechnung bemühen, um dann PÄNG, Zitat: „Ein Indikator für Unfehlbarkeit ist das aber nicht“ rauszuklopfen. Eben, denkt man sich, dann muss es ja noch was anderes geben.

Das andere kommt in Gestalt einer Erleuchteten über die Leserschaft, die mit einem szenischen Einstieg ihrer Räucherstäbchenbude sympathisch geschrieben wird. Es folgt eine Anekdote, die einen Bogen von der Kindheit über die eigene Krise spannt, was sie letztlich von der Hobby- zur hautberuflichen Kartenlegerin gemacht hat, die auf die Erfahrung der Geister zurückgreife (welcher eigentlich?). Die StZ lässt die Wahrsagerin über „Kraftquellen“, „Hellfühligkeit“ und „Vorahnungen, die sich erfüllten“ salbadern – ohne jegliche journalistische Einordnung. Da wird behauptet, dass sich die Karten nie irren. Und wenn dann doch eine Prognose falsch war, dann liegt es nicht an den Karten, sondern nur an der falschen Interpretation derselben. Mein armes aargks-O-Meter.

„Die Leute kommen zu mir, weil sie nicht weiterwissen“, wird Tante Karin zitiert. Ganz richtig, so funktioniert das Geschäftsmodell: Menschen in einer Krise sind verwundbar, unsicher, verängstigt, hilflos, schwach – und genau dieses Klientel wird geködert mit Aussagen, die unbelegt, unhaltbar, aber dafür so allgemein gehalten sind, dass sie mit einer weitestgehenden Interpretation auch immer zutreffen. Damit brüstet sich die Wahrsagerei, Hilfe geleistet zu haben. Dem einzigen freilich, dem Karten legen hilft, ist dem Kontostand des Karten Legendem. In diesem Fall: Der Waldfee. Wer mag, google sie und staune ob ihrer Fähigkeiten (und Preislisten).

Ich erspare mir die weitere Analyse dieses fürchterlichen Artikels: Selbst im hinterletzten Anzeigenblatt in Bumms an der Öd hätte sich die Autorin nach dem Verfassen eines derartigen Quarks ihre Papiere abholen dürfen. Wird bei der Stuttgarter Zeitung nicht mehr gegengelesen? Immerhin, der Onlineredakteur, der den Teaser auf der Hauptseite geschrieben hat, hat sich wohl für den Artikel einigermaßen geschämt. Denn da steht noch, dass das nur funktionere, wenn man dran glaubt. Im eigentlichen Artikel ist davon nichts mehr zu lesen.

Der Artikel erschien am 6. Juli in der Online-Ausgabe, ob er auch in der Printausgabe erschienen ist, weiß ich nicht. Was aber, was um alles in der Welt hat das mit „Wissen“ und mit „Kinder-Uni“ zu tun? An verschiedenen Universitäten in Deutschland finden Kinder-Unis statt, eine tolle Sache, in der echte Wissenschaftler Kindern auf unterhaltsame Art und Weise Einblicke in Wissenschaft und Forschung geben. Ein Geister-Karten-Hellseher-Schamanismus gehört sicher nicht dazu.

Zum Abschluss noch mein Lieblingssatz des Artikels: „Anders als bei Wahlprognosen spielen bei ihr [der Kartenlegerin] Fakten keine Rolle.“ Ähm, ja. Ich muss meinen aargks-O-Meter eichen.

9 Kommentare zu “Kinder-Uni-Verarsche der Stuttgarter Zeitung

  1. Hä Hä . . . Für mein geheimes Internet-Wettbüro brauche ich nur Karten mit
    Totenköpfen.Sie können bei mir auch auf das ableben x-beliebiger Esozicken
    wetten. Aber viel lukrativer sind die Wetten auf die erfolgreichen
    Attentatsversuche irgendwelcher Al-Kaida Deppen die von unseren
    prollfessionellen Medien vorhergesagt werden . . .

    Gott ist grössser.
    Sie können nur gewinnen.

  2. Autsch, das tut weh. Ich kann mir das nur mit irgendwelchen Kungeleien zwischen Autorin und dieser Esotante erklären.. und mangelnder Qualitätskontrolle in der Redaktion. Is ja auch grad Urlaubszeit und so..

  3. Eine frisch geschnittene subjektive Interpretation, gepaart mit Barnum-Aussagen. Das ganze mit einer leicht verdaulichen Preisprise gewürzt, ergibt einen hervorragenden Bullshit-Cocktail allererster Sahne :)
    Leider *suchen* Menschen nach einer „Lösung ihrer Probleme“ und nehmen dabei den Weg des geringsten Widerstandes: Geldbörse auf -> erwünschte Aussagen von einer wildfremden Person „aus Karten herausgelesen“ oder „bei den Geister nachgefragt“ -> Lächelnd abwarten, dass das Schicksal genauso zuschlägt, „wie vorhergesehen“. Das dabei der selbe Effekt wie bei „Freitag der 13te“ ausgenutzt wird, muss man ja nicht unbedingt erfahren ;)
    Traurig, wie leicht man Menschen zum eigenen Gunsten manipulieren kann. Entweder bereichert man am Schicksal anderer Menschen, oder man spielt die protzende „Geisterkennerin“ mit der magisch-einmaligen Gabe der „Wahrheitdeutung“. Wenn nicht das Bankkonto, so wird zumindest das Ego gestärkt.
    Die Leidtragenden, das sind weiterhin die Kunden. Einerseits ist es ihr Problem, wenn sie freiwillig ihr Geld einer Märchenerzähler-Person in den Geschichtenrachen werden, andererseits ist es moralisch mehr als fragwürdig und ethisch ein Tritt, wenn man der Person nicht reinen Wein einschänkt, sondern lieber die nette Märchentante /-onkel spielt und irgendwas von ewiger Kartenwahrheit rumfaselt.
    Die „Wahrheit“ versagte so oft. Etwa bei den letzten Tsunami-Warnungen mit mehreren tausenden von Toten. Oder etwa bei der Flutkatastrophe in unserem Land. Wo blieben all diese vielen gesprächsfreudigen „Wahrheitsgeister“, als Jahr für Jahr Kinder und Frauen entführt, vergewaltigt und ermordet wurden? Wohl wichtigeres zu tun gehabt, nicht wahr? Man kann wahrlich nur noch den Vogel zeigen, dass im Jahre 2013, viele Jahrzehnte nach der Mondlandung und der Erfindung der drahtlosen Kommunikation, die Menschen noch immer auf jahrtausendealte Tricks reinfallen – und diese Praxis auch noch nahezu unskeptisch durch die Medien geistert (pun intended) ;)

    • vollste Zustimmung. Deshalb habe ich auch das Blog begonnnen. Vielleicht können skeptische Blogs und Websites wie meine einen winzigen Beitrag leisten, dass der ein oder andere sein Vorhaben, zu Geistersehern & Co. zu rennen doch mal hinterfragt.

Hinterlasse einen Kommentar