Reichsburgerwochen I: „…wenn ich König von Deutschland wär“ – eine Einführung in die Szene

Wenn Kinder spielen, ist alles möglich: Da werden Königinnen erkoren und böse Zauberer verstoßen, ein Ritterführerschein gemalt, mit Spielgeld Reichtümer angehäuft oder dank des imaginären Lichtschwerts die Ordnung im Universum wieder hergestellt. Auch Erwachsene haben Phantasie, aber wer würde sich ernsthaft einen eigenen Ausweis basteln, sein eigenes Staatsterritorium proklamieren, seine selbst entworfene Währung drucken und einen Feldzug gegen die Unterdrücker der einzig gültigen Wahrheit™ führen? Mehr als man denkt.

Hurra, wir haben eine Notregierung. Wurde ja auch Zeit. Nein, ich rede nicht vom hilflosen Versuch, politische Handlungsfähigkeit mit einem Bundestagsausschuss zu simulieren. Oder vom Koalitionsvertrag. Alles falsch. In einer Kneipe haben sich die wirklichen Durchblicker getroffen, die Souveränität Deutschlands herzustellen.

Ach?

Es ist schon ein paar Jahre her, als ich in einem Gespräch unvermittelt mit mir ziemlich neuen Thesen konfontiert wurde: Deutschland sei nicht souverän, das wäre doch absolut augenscheinlich. Seit dem Zweiten Weltkrieg sei Deutschland besetzt und von den Siegermächten gelenkt. Der von mir eingeworfene Zwei-plus-vier-Vertrag wurde verworfen („Alles nur Augenwischerei“), ich müsse nur mal die Augen aufmachen, Deutschland sei sogar nur eine GmbH, dafür gebe es Beweise. Wahlen seien seit 1945 ungültig, keine Regierung seither legitimiert, keine Gesetze hätten irgendwelche Gültigkeit, ich müsse eben mal aufwachen und überhaupt: ich solle doch nicht alles glauben.

So ist es: Ich glaube nicht alles.

Momentan haben wir mehrere konkurrierende Kommissarische Reichsregierungen: Die neuste ruft Sachsen-Meiningen aus, Mitte Dezember kommt Württemberg per Wahl in denselben Genuss. Es gibt einen Staat Germanitien, es gibt ein zweites Deutsches Reich, Neudeutschland ist mittlerweile schon ein alter Schuh, dafür gibt es in Wittenberg gleich ein ganzes Königreich Deutschland (auch wenn es sich momentan arg im Niedergang befindet). Einzelreichis rufen die staatliche Selbstverwaltung aus undsofort.

Allen gemeinsam ist, dass sie die Bundesrepublik Deutschland und das Grundgesetz nicht anerkennen. Die Begründungen sind von juristischem Halblaienwissen geprägt, von Argumentationsresitenz durchseucht und bar jeder Logik und Plausibilität. Darauf werde ich in späteren Beiträgen der Reichsburgerwochen noch genauer eingehen. Ein paar besonders absurde „Argumentations“Beispiele, an denen die Reichswürste hängen wie der Junkie an der Nadel: Sigmar Gabriel hat mal von der Merkelregierung als GmbH geredet – PÄNG, DAS ist der Beweis, nix Demokratie: Firma! Oder: Weil die BRD für den internationalen Zahlungsverkehr in einer Art Kontoliste geführt ist, in der auch Unternehmen registriert sind, TSCHAKA – ist unsere Bunzelplik eine: Firma! Weil die BRD internationale Verträge eingeht, ist sie nicht souverän, PAFF, geht ja gar nicht also so was.

Das Ergebnis, so die Reichis: Das Deutsche Reich ist 1945 nicht untergegangen und demnach die Weimarer Verfassung nach wie vor gültig. Ach ja, und die Grenzen von 1937 (eine beliebte Jahreszahl in der Szene, warum, erschließt sich mir nicht so genau), gerne aber auch früher, da sind sich die Reichshaber selbst uneinig.

Die Protagonisten dieser wirren Ideen sind zum einen Revanchisten, Neonazis und dumpfes braunes Gesocks, das sich ganz offen rassistisch und antisemitisch äußert. Zum anderen sind da ein Haufen Verschwörungstheoretiker. Ein paar apolitische Betrüger springen auch gerne auf die Reichsbahn auf, lassen sich doch auf diese Weise prima Führerscheine und andere Phantasiedokumente für teuer Geld verticken. Esos findet man zuhauf unter den Reichsheinis, aber nun ja, die kaufen ja jeden Ramsch, den man ihnen andreht. Und die braun-esoterische Ecke klatscht dabei sowieso gerne Beifall. Manche treibt auch schlicht das Geld: Sie wollen keine Steuern zahlen oder ihr Falschparker-Knöllchen nicht abdrücken. Auch wenden sich Entäuschte und Abgehängte, die desillusioniert seit Jahren nur noch hartzen, diesem Reichswirrwarr zu. Und schließlich gibt es die total abgedrehten Knallchargen, die irgendwann die Fähigkeit verloren haben, die Schuhe zu binden und sich stattdessen die Hose über den Kopf ziehen.

Seit einigen Jahren werden zweite, vierte und x-te Deutsche Reiche gegründet, innerhalb derer Führer, Präsidenten, Kanzler und Minister munter drauflosernannt und abgesetzt werden. Es brechen (virtuelle) Revolutionen und Konterrevolutionen aus – wenn Kinder spielen.

Das Treiben der Reichis ist mitunter lustig anzuschauen – doch spätestens wenn Gerichtsvollzieher von einer Reichspolizei „verhaftet“, vulgo freiheitsberaubt, werden, zeigen sie ihr wahres Gesicht. Und das ist kein schönes.

Ich beobachte die Szene jetzt schon ein paar Jahre und wundere mich, warum die gemeine Feld-, Wald- und Wiesenreichswurst die immer selben und ihre tausend Mal geschredderten „Argumente“ trotzdem widerkäut. Und ich ärgere mich, wenn es diesen Bauernfängern mal wieder gelungen ist, einen naiven Mitmenschen zu ködern. Denn das geht für den Mitmenschen meist nicht gut aus.

Wenn Kinder spielen, finden sie problemlos wieder in die Realität zurück. Den Reichsheinis ist diese Fähigkeit abhanden gekommen.

11 Kommentare zu “Reichsburgerwochen I: „…wenn ich König von Deutschland wär“ – eine Einführung in die Szene

  1. Ein guter Start in RBW., ich mag den hier gefochtenen Stil anschaulicher wie faktenreicher Darstellung, ummantelt in gesunder sprachlicher Schärfe. Da kann man sich auf die noch folgenden Artikel freuen.

    Meines Erachtens nach ist die Faszination mit der Jahreszahl 1937 eine Übernahme des Ausdrucks geopolitischer Amputationsschmerzen aus dem Portfolio gebietsrevisionistischer Kreise, rückverfolgbar bis zu der Zeit direkt nach Kriegsende. Und lange Zeit zur Brauchtumspflege weiter Teile auch des gemäßigten bürgerlichen Lagers – Stichwort Vertriebenverbände- der alten Bundesrepublik gehörend.
    Mit der Forderung nach den Grenzen vom 31.12.1937 geht der Anspruch auf den Gebietsstand des sogenannten „Altreiches“ einher, neben der damaligen DDR also auf die ehemaligen deutschen Ostgebiete. Mit der Festlegung auf dieses Datum sollte explizit zum Ausdruck gebracht werden, dass man keinen Anspruch auf die Gebietserweiterungen ab dem Jahre 1938 (Österreich, Sudetenland usw.) erhebt.
    Man schlage eine beliebigen Schulatlas aus der Zeit vor den Ostverträgen auf, dort wird irgendwo eine Karte zu finden sein, bei der die Grenzen vom 31.12.1937 markiert sind (und die deutschen Ostgebiete völkerrechtlich als „zur Zeit unter polnischer bzw. sowjetischer Verwaltung stehend“ tituliert werden“).

    • Guter Ansatz, danke Lalaburg! Das ist eine plausibel 1937-er Erklärung. Das wirft wiederum die Frage auf, warum nicht 1936 oder 1921. Waren maßgebliche Verfassungsänderungen nach 1933? Muss ich mal recherchieren.

      • Bitte, gern geschehen!
        Eine Ergänzung noch: Bei der erstmaligen Festlegung des Termins spielen die Alliierten die entscheidende Rolle. Auf diversen Konferenzen während des Krieges machte man sich Gedanken über den Umfang des nach der deutschen Niederlage zu verwaltenden Gebietes. Also über die Frage: Was hat überhaupt als deutsches Staatsgebiet zu gelten. Dabei einigte man sich spätestens mit der Berliner Erklärung vom Juni 1945 endgültig auf das Datum 31.12.37, eben als Abgrenzung gegenüber später erfolgten, aber zwischenzeitlich völkerrechtlich gegenstandslosen gewordenen territorialen Erweiterungen.

        Aus Reichsbürgersicht würde es aber -so scheint es mir zumindest- auch jedes andere Datum tun. Wie bei der Wahl einer Verfassung wird genommen, was die gewünschte Argumentationslinie stützt. Beansprucht man die nach dem ersten Weltkrieg verlorenen Gebiete auch noch, würde es ein Termin zwischen 1871 und 1914 sein.

        Hinsichtlich der Frage nach verfassungsrechtlichen Veränderungen nach 1933: Ein guter Einstieg ist eine Recherche über das Ermächtigungsgesetz vom März 1933.

  2. @Lalaburg,
    guter Hinweis mit der Berliner Erklärung, danke! Aber ob der Reichsheini sich ernsthaft auf eine Deklaration seiner verhassten Besatzer beruft? Das wäre geradezu köstlich (wenn auch typisch für dessen inkohärente Logik). Aber wie Du ja schreibst, für den Reichsbürger würden es auch andere Jahre tun…

    • Wahrscheinlich ist es fast egal, welches Datum man nimmt, solange man nicht mit den Nachkriegsgrenzen dasteht. Vielleicht denkt man reichsbürgerlicherseits gar nicht so weit zurück, dass man die mit dem Vertrag von Versailles verlorengegangenen Gebiete gleich auch noch mit einzureichen versucht. Das haben die wahrscheinlich gar nicht mehr auf dem Radar.

      Man ist ja auch nicht so sehr für etwas (ein wie immer geartetes und dimensioniertes Reich), sondern gegen etwas (die böse „Bundesrepublik in Deutschland GmbH“, warum auch immer). Und weil das Dagegensein das Hauptmotiv ist, muss man gar nicht so im Detail wissen, wofür man jetzt genau ist. Keine Steuern zahlen, Briefträger nerven und Gerichtsvollzieher verprügeln reicht da erstmal völlig aus.

  3. Sind eigentlich die Reichsteilungen nach Karl dem Großen überhaupt anzuerkennen? Ich würde mich nicht mit so einer Minimalposition wie „1937“ zufriedengeben… ;-)
    Aber das Thema Grenzveränderungen in den letzten 100 bis 200 Jahren in Mitteleuropa ist echt spannend. Auf was für Details man dabei stossen kann, z.B. http://www.moresnet.nl/deutsch/index_de.htm

    • Hi Bernd K.,
      ja, so sind sie, die Reichis, sehr inkonsequent. Aber wahrscheinlich kennen sie den ollen Karl eh nicht ;-)
      Danke für den Link! Das ist ja spannend, hatte ich noch nie was von gehört. Überhaupt diese Kleinstaaten: Gab’s nicht nach dem Zweiten Weltkrieg irgendeinen vergessenen Landstrich zwischen den Besatzungszonen mit Quasi-Selbstständigkeit für ein paar Jahre? Muss mal recherchieren, komm grad nicht drauf.

  4. Mal ehrlich Ohne die reichsdeppen wie mario heinz kiesel und co wäre es doch auf Yt weniger lustig ? Oder ?

    • Ja, hast schon recht, lustig sind sie irgendwie. Aber denk mal an die armen Beamten, die sich im realen Leben mit diesen Nasen rumplagen müssen. Puh, ich würd nen Reichskoller kriegen…

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